Der „Turbomann“ aus Buchloe

Professor Fritz Indra im Interview

Der B7 Turbo-Motor von ALPINA – ein Meilenstein in der deutschen Motorengeschichte. In den 1970er Jahren entwickelte Fritz Indra einen Ottomotor mit einer kombinierten Aufladung, die den BMW ALPINA B7 Turbo zur schnellsten Serien-Limousine seiner Zeit machte. Ein Interview mit dem Entwickler dieses technischen Meisterwerks.

Burkard Bovensiepen und Prof. Fritz Indra

Professor Indra, zunächst einmal zu Ihrer Historie bei ALPINA: 1971 haben Sie sich ja dazu entschieden, von der Metropole Wien in das beschauliche Buchloe umzusiedeln. Sie waren Hochschulassistent an der Technischen Universität Wien und sind dann als Entwicklungsleiter bei ALPINA eingestiegen. Wie kam es dazu?

Nun, zunächst einmal wusste ich schon recht früh, dass ich Ingenieur werden wollte. Noch in der Volksschule, als 10-Jähriger, habe ich in einem Aufsatz meine beruflichen Pläne genauestens beschrieben: Das Wort „Doktorat“ war dabei so furchtbar falsch geschrieben, dass es vor lauter Rotstift nicht mehr zu lesen war. Aber schlussendlich kam es dann doch genau so: Nach meinem Abschluss als Diplom-Ingenieur hatte ich großes Glück, dass ich in Wien als Hochschulassistent akzeptiert worden bin und dort promovieren konnte. Denn in Österreich war zu dieser Zeit ja tote Hose! Da gab es noch kein BMW Werk in Steyr oder sonst etwas für Vollbluttechniker wie mich.

Um mich als Hochschulassistent über Wasser zu halten, habe ich vier oder fünf Nebenjobs gehabt. Unter anderem habe ich für die Österreichische Autorevue Artikel geschrieben. Und hier bekam ich 1971 den Auftrag, einen Artikel über einen gewissen Burkard Bovensiepen zu schreiben. Also bin ich nach Deutschland gereist zu einem Termin, bei dem auch Gert Hack zugegen war. Der war zu dieser Zeit Teil der Geschäftsleitung von ALPINA und ist vielen sicher bekannt als Journalist der AUTO MOTOR UND SPORT. Und eben jener hat mich dann gefragt: „Was machen Sie eigentlich?“. Naja, ich habe promoviert, kenne mich sehr gut aus bei Abgasen und Abgasbestimmungen – das war mein Promotionsthema – und auch beim Rennsport – schon während meines Studiums habe ich für Kurt Bergmann den Kaimann entwickelt. Und dann war klar: Damit passe ich genau zu ALPINA. Wir waren uns so schnell handelseinig, dass ich nach drei Monaten bei ALPINA als Entwicklungsleiter angefangen habe. In Buchloe, das ist ein kleines Dorf im Allgäu! Als ich meine Frau dann das erste Mal mitgenommen habe, aus Wien kommend, hat sie sich auf die Hauptstraße von Buchloe gesetzt und bitterlich geweint.

 

Ein Meilenstein Ihrer Entwicklungsarbeit bei ALPINA war der B7 Turbo-Motor. Wie kam es denn dazu, dass ausgerechnet in Buchloe der erste Ottomotor mit einer kombinierten Aufladung entwickelt wurde? Grundlagenforschung ist ja nun nicht unbedingt ein Thema, das man bei einem Kleinserienhersteller verortet.

Im Grunde hat das wohl mit der Vision zu tun, die Burkard Bovensiepen für ALPINA verfolgt hat: Er wollte ja nie als Tuner wahrgenommen werden, sondern ALPINA zu einem anerkannten Automobilhersteller machen, was ihm ja dann letztendlich auch gelungen ist.* Und hierfür muss man natürlich auch einen Beweis abliefern, muss innovativ sein. Autos einfach nur schneller zu machen, war ja nie das Selbstverständnis von ALPINA. Und einem ALPINA Motor schlicht mehr Hubraum zu verpassen, um die Leistung zu steigern, war einfach nicht die passende Antwort zu der Zeit. Denn auch in den 1970er Jahren galten ja bestimmte Geräusch- und Emissionswerte – das hätte so nicht funktioniert. Aus den damaligen BMW Sechszylinder-Saugmotoren, die nur zwei Ventile pro Zylinder hatten, konnte man aber einfach nicht mehr Leistung raus holen.

Für mich war dann klar, dass die Turbo-Technologie hier eine perfekte Antwort war: Eine deutliche Leistungssteigerung bei gleichbleibender Hubraumgröße, um auch alle gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Turbolader waren allerdings zu dieser Zeit noch ein echtes Novum: Ein paar Hersteller haben sich schon an der Technologie versucht. Diese Motoren waren aber wahnsinnig schlecht im Ansprechverhalten, fürchterlich im Verbrauch und noch dazu ständig kaputt. Und ja, dann habe ich mich bei der Ehre gepackt gefühlt und gesagt, das muss auch besser gehen.

Dann kam eins zum anderen: Die Erfolge, die wir zu der Zeit im Motorsport gefeiert haben, waren natürlich ein Riesenvorteil: Wir profitierten von einem sehr großen Netzwerk, hatten sehr engagierte Partner und Lieferanten, die am Erfolg von ALPINA teilhaben wollten. Da lief alles Hand in Hand: Wir konnten unterschiedlichste Technologien kombinieren: Vom ansaugseitigen Resonanzsystem nach Dr. Gyula Cser über die vollelektronische Kennfeldzündung – ein völlig neues Thema zu der Zeit! Das Ergebnis war schließlich ein ordentlicher, ein alltagstauglicher Turbo-Motor, der dann im BMW ALPINA B7 Turbo das erste Mal zum Einsatz gekommen ist.

 

Was genau musste denn an den bestehenden Turbo-Ottomotoren angepasst werden, damit diese – wie Sie sagen – „alltagstauglich“ wurden?

Wenn man sich die Schwachstellen der damaligen Turbo-Motoren angesehen hat, war klar, dass man hier an mehreren Stellschrauben drehen muss. Daher kamen beim ALPINA B7 Motor eine Vielzahl neuer Technologien zum Einsatz. Zum Beispiel die Einspritzanlage: Bei Tests konnte man sehen, wie wichtig beim Turbo-Motor die genaue Kraftstoffdosierung ist – nicht nur für den Verbrauch, sondern auch für das Ansprechverhalten. Die Einspritzanlage musste also sowohl die Luftdichte als auch die Luftmenge erfassen können, um den Kraftstoff optimal dosieren zu können. Hier habe ich dann auf die weiterentwickelte mechanische DL Einspritzanlage der Firma Pierburg gesetzt. Auch die Anordnung der Einspritzanlage war dabei entscheidend: Ordnete man diese hinter dem Verdichter an, änderte sich die Druckdifferenz. Die Turbinendrehzahl sank und dadurch lief die Turbine schneller hoch und das Ansprechverhalten verbesserte sich. Für die thermische Stabilität hat dann ein Ladeluftkühler gesorgt. Hier habe ich auf ein Luft-Luft-System gesetzt. Aber auch die Ansauglufttemperatur musste stimmen und damit die Anordnung des Ladeluftkühlers, denn das hatte massiven Einfluss auf Leistung und Kraftstoffverbrauch. Unser Partner, die Firma Kühnle, Kopp & Kausch (KKK), hat dann nach ALPINA Vorgaben auch noch ein neues Turbinengehäuse entwickelt. Wir mussten die Geometrie anpassen, da wir sehen konnten, dass ein kleinerer Halsquerschnitt besonders im niedrigen und mittleren Drehzahlbereich Vorteile bringt.

Ein weiteres Problem war, dass die damaligen Turbo-Motoren sehr klopfempfindlich waren. Der Zündzeitpunkt war hier entscheidend. Mit den bestehenden Zündsystemen konnte man diesen aber nicht präzise genug steuern. Hier kam dann das System von Dr. Hartig ins Spiel – eine voll digitale, rechnergesteuerte Kennfeldzündung, eine absolute Neuheit in der Automobiltechnik! Damit wurde das Toleranzband viel enger und die Zündzeitpunkte viel genauer. Damit hatten wir dann zwar das Klopfverhalten im Griff, aber leider war der Leerlauf noch instabil. Im Brennstoff-Luftgemisch gab es schlicht zu wenige Turbulenzen. An der Stelle habe ich dann mit einer Quetschkante im Brennraum gearbeitet. So wurden Luft und Brennstoff besser durchgemischt und alle sechs Zylinder zündeten gleichmäßig.

Und dann gab es ja auch noch das ansaugseitige Resonanzsystem von Dr. Cser, das ich vorhin schon erwähnt habe. Dieses System haben wir bei ALPINA erstmals auf einen Ottomotor angewendet. Dabei wird beim Sechszylindermotor das Ansaugsystem in zwei Gruppen von je drei Zylindern aufgeteilt. Die Einlasskanäle münden dann je in einen separaten Resonatorbehälter, der über ein Resonanzrohr mit der Druckseite des Turboladers verbunden ist. Dabei werden – vereinfacht gesprochen – Schwingungen im Resonanzvolumen erzeugt, was zu einer veränderten Luftdichte führt. Das funktionierte wirklich erstaunlich gut über ein sehr breites Drehzahlband. Und damit war dann auch das Turboloch behoben. Der Leistungsverlauf war beeindruckend – nicht zu vergleichen mit anderen Turbo-Motoren aus dieser Zeit.

 

Das Ergebnis Ihrer Entwicklung war ja schließlich die „schnellste Limousine der Welt“. Ein Titel, der die gesamte Branche aufhorchen ließ. Wie haben Sie die Reaktionen auf den ALPINA B7 Motor erlebt?

Das stimmt, die Medienresonanz auf den B7 Turbo war enorm. Da gab es unglaublich viele Vergleichstests. In allen lag der B7 Turbo vorne, auch gegen Größen wie den Porsche Turbo, den Jaguar XJ12 und so weiter. Dabei kam die B7 Limousine recht brav daher - der perfekte Understatement-Wagen. Aber es war nun einmal erwiesenermaßen die schnellste Limousine zu der Zeit. Die Höchstgeschwindigkeitsmessung war damals übrigens noch sehr abenteuerlich. Beim B7 Turbo saß ich selbst am Steuer, der TÜV-Beamte saß mit einer Stoppuhr neben mir. Die Messung wurde damals ja noch „in freier Wildbahn“ vorgenommen. Wir waren dafür oft am Ostring von München unterwegs, der damals noch nicht einmal fertig war. Immer, wenn wir die 250 km/h Marke erreicht haben, zog prompt ein LKW raus. Wir haben also einige Anläufe gebraucht, bis wir unsere Höchstgeschwindigkeit erreicht hatten.

Und natürlich hat mich der ALPINA B7 Turbo-Motor auch in der Branche bekannt gemacht als den Turbo-Experten aus Buchloe. Ich habe mehrere Artikel über diesen Motor veröffentlicht. Dadurch ist dann auch ein gewisser Ferdinand Piëch auf mich aufmerksam geworden, der damals Bereichsleiter bei Audi war. Er hat mich angerufen und gesagt: „Ich brauche einen Turbomann“. Und so kam es, dass ich 1979 zu Audi zum Leiter der Motorenkonstruktion wurde.

 

Sie wollen mehr über den ALPINA B7 Turbo-Motor erfahren? Lesen Sie hier die einstige Publikation von Fritz Indra zu diesem Thema in der Automobiltechnischen Zeitschrift (ATZ, Heft 4/1978): „Entwicklung eines aufgeladenen Ottomotors für Personenwagen mit 73,5 kW Literleistung“

*ALPINA wurde 1983 beim Kraftfahrtbundesamt als eigenständiger Automobilhersteller akkreditiert (Anmerkung der Redaktion).


Über Professor Fritz Indra

Professor Fritz Indra, Jahrgang 1940, studierte Maschinenbau an der Technischen Universität Wien, wo er 1969 in den Technischen Wissenschaften zum Dr. techn. promovierte. Nach seiner Tätigkeit als Hochschulassistent leitete er ab 1971 die Entwicklung bei ALPINA. 1979 holte Ferdinand Piëch den Experten für Turbo-Motoren zu Audi, wo er bis 1985 als Leiter der Motorenkonstruktion tätig war. Anschließend wechselte er zu Opel. Von 1997 bis 2005 war er Executive Director in der Motoren- und Getriebe-Vorausentwicklung bei General Motors. 1991 wurde er zum Honorarprofessor für Verbrennungskraftmaschinen der TU Wien ernannt. Aufgrund seines breiten Wissens und seines globalen Netzwerks ist er noch heute als Vortragender und Berater in der Automobilindustrie sehr gefragt.


Schema der Abgasturboaufladung für den ALPINA B7 Motor
Einfluss verschiedener Ladedrücke auf den Leistungsverlauf und zum Vergleich ein Saugmotor
Einfluss der Schwingrohr- bzw. kombinierten Aufladung auf den Leistungsverlauf